Mein Name ist Kristine. Ich bin 33 Jahre alt und arbeite seit November 2018 bei THE GOOD FOOD. Meine ehrenamtliche Tätigkeit stellt für mich mehr als einen Beitrag für die Gesellschaft dar. Sie ist mehr als ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Mehr als ein Beitrag zur Beendigung der Lebensmittelverschwendung. Sie ist auch ein wichtiger Beitrag zu meinem eigenen Leben. Ein Beitrag zu meiner Genesung von schweren psychischen Erkrankungen.
Meine Motivation für das Ehrenamt
Wie die meisten, die sich bei THE GOOD FOOD engagieren, sehe auch ich es in der Verantwortung jedes einzelnen, etwas zur Nachhaltigkeit und damit zum Erhalt unseres Planeten beizutragen. Allerdings war dies nicht meine Motivation, dort anzufangen, sondern eine ganz andere. Eine eher ungewöhnliche. Welche? Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich stärker bin als meine Angst. Stärker als meine negativen Gedanken. Stärker als meine Erkrankungen.
Um das zu erklären, muss ich ein paar Jahre zurückgreifen. Vor vier Jahren bin ich zusammengebrochen. Diagnose: Schwere Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Seitdem bin ich arbeitsunfähig. Die Erkrankungen haben sich nicht nur psychisch, sondern auch physisch ausgewirkt. Konkret bedeutete das für mich: Starke Konzentrationsprobleme, massive Einbuße der Leistungsfähigkeit, Kraft- und Antriebslosigkeit. Am Anfang war ich so schwach, dass ich es gerade vom Bett zum Bad/Küche geschafft habe, aber auch nicht weiter. Wenn man bedenkt, dass ich vorher immer aktiv war, ein sehr stressiges Studium hatte und danach eine anspruchsvolle Arbeit, gerne mit Menschen unterwegs war und feiern, lebensfroh und hart arbeitend, war das ein krasser Einschnitt. Ein Einschnitt, der mein Leben komplett durcheinander gewürfelt hat und mich dazu zwang, mich neu zu finden. Nur war mir das am Anfang nicht so klar. Ich habe mich also isoliert und versteckt, was einfach war, da ich ohnehin erst seit knapp 3 Monaten in Köln wohnte und somit nicht so viele Menschen kannte. Außerdem: Wie soll ich jemandem erklären, was mit mir los ist? Es sieht doch keiner, wie es mir wirklich geht. Die belastenden Gedanken, die Antriebslosigkeit, die Verzweiflung. Äußerlich ist doch alles gut? Liebevoller Partner, gut bezahlter Job, schöne Wohnung – was will man mehr?
Es hat einige Zeit und einen ersten Klinikaufenthalt im Frühjahr 2018 gebraucht, bis mir bewusst wurde, dass erstens Schweigen und zweitens Isolierung nichts bringt, und das weitere Schüren von Ängsten dadurch auch nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich gesund werden will. Allerdings war nun die Frage, was soll ich machen? Einer Arbeit kann ich noch nicht nachgehen, dafür geht es mir einfach zu schlecht, das war klar. Aber was ist mit einem Ehrenamt? Sollte das nicht möglich sein? Warum nicht. Ich begann somit, online nach einem Ehrenamt zu suchen. Wie sich herausstellte, war es nicht so einfach für mich, dort etwas zu finden, denn bei den meisten Vorschlägen bekam ich schon Angst, als ich bloß die Beschreibung las. Krankheitsspezifische Gedanken und Ängste wie: „Das schaffe ich nie. Das ist viel zu schwierig, viel zu anstrengend, viel zu oft, das kann ich ohnehin nicht, wie soll ich das jemals hinbekommen, etc.“ übertrafen sich eifrig und laut in meinem Kopf. Doch plötzlich stieß ich auf THE GOOD FOOD. Lebensmittelrettung? Das klingt doch gut, dachte ich mir. Damit kann ich mich identifizieren, da müsste es doch eine Möglichkeit für mich geben, mich einzubringen.
Ehrenamt im zweiten Anlauf
Ich schrieb somit eine Email, vereinbarte ein Treffen und – sagte es kurzfristig wieder ab. Die depressiven Gedanken, die Unsicherheit, der Selbstzweifel und die Angst hatten die Oberhand gewonnen: Soll ich von der Erkrankung erzählen? Was, wenn ich für das Ehrenamt zu dumm bin? Unfähig bin? Was, wenn sie mich für völlig verrückt hält? Mich merkwürdig anguckt oder nicht möchte, dass eine psychisch erkrankte Person ins Team kommt? Meine krankheitsbedingte extreme Unsicherheit und mein fehlendes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein sorgten dafür, dass ich mich schämte. Mich für meine Erkrankung schämte. Mich für meine Defizite schämte. Für meine Einschränkungen. Sie sorgte dafür, dass ich mich nicht traute, mich vorzustellen, aus Angst vor einer Absage. Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich dann den zweiten Anlauf wagte. Auch wenn ich wieder den Impuls hatte abzusagen, kämpfte ich dagegen an und zwang mich, zu dem Treffen zu gehen.
Mein Mut wurde belohnt: Wie sich herausstellte, war das genau die richtige Entscheidung. Denn es war nicht wie erwartet. Ich erzählte zwar von meiner Erkrankung, doch sie schien überhaupt kein Problem zu sein, wurde nicht weiter diskutiert oder negativ aufgenommen. Vielmehr wurde ich einfach gefragt, was ich mir vorstellen könnte, wurde ein paar Tage später direkt eingearbeitet und war fortan festes Mitglied im Team.
Die gleiche wertschätzende und schöne Erfahrung machte ich dann auch mit anderen Teammitgliedern. Ich sprach offen von meiner Erkrankung und es war für alle in Ordnung. Mehr noch: Teilweise ergaben sich daraus auch wunderbare, sehr interessante Unterhaltungen. Eine Erfahrung, die ich vorher so noch nicht gemacht hatte. Nie wurde ich dafür verurteilt, komisch angeguckt oder danach anders behandelt.
Gute Gründe für die Psyche
Ich habe recht schnell gemerkt, dass mir die Arbeit bei THE GOOD FOOD psychisch unheimlich gut tut. Dafür gibt es mehrere Gründe:
1. Flexibilität und Individualität
Einer der wichtigsten Punkte für mich ist, dass ich die Arbeit flexibel und individuell anpassen und aussuchen kann. Ich habe im Ladendienst angefangen. Das bedeutete zu dem Zeitpunkt circa 4,5 Stunden pro Schicht. Dabei merkte ich schnell, dass 4,5 Stunden deutlich zu lang für mich sind; ich war danach immer total erschöpft und müde und unbrauchbar für den Rest des Tages. Also habe ich das angesprochen und die Stundenzahl reduziert. Mittlerweile springe ich einfach ein, wenn mal eben für 1-2 Stunden jemand im Laden benötigt wird. Das ist eine Zeitspanne, die ich gut bewerkstelligen kann, ohne danach vollkommen am Ende zu sein. Das weiß jede:r. Das ist für jede:n in Ordnung. Während meiner Arbeit erledige ich die Aufgaben wie jede:r andere auch, ohne Einschränkungen.
Aufgrund meiner schweren Depression habe ich oft das Gefühl, nichts wert zu sein, nichts zu können, zu dumm für die einfachsten Aufgaben zu sein und ohnehin Menschen eher zu belasten als eine Hilfe darzustellen. Ich fühle mich oft mit den kleinsten Aufgaben vollkommen überfordert, traue mich dann aber nicht, etwas zu sagen, aus Angst vor Konflikten oder Zurückweisung. Das war jedoch bei THE GOOD FOOD kein Problem: Obwohl es aus organisatorischen Gründen wichtig ist, dass feste Schichten vereinbart werden und diese vollständig von einer Person übernommen werden, hatte ich Glück und konnte eine Ausnahmeregelung vereinbaren. Da ich vorher ja schon einige Zeit komplette Schichten übernommen hatten und somit deutlich war, dass ich das gerne und gut mache, nur aufgrund meiner Erkrankung eben nicht so lange kann, haben wir eine Sonderregelung finden können. Somit kann ich mittlerweile recht frei entscheiden, ob ich spontan einspringe für jemanden, der aus irgendeinem Grund ein wenig früher seine Schicht verlassen muss. Das hat für mich den Vorteil, dass ich keine ganze Schicht übernehmen muss, und auf der anderen Seite ist es hilfreich, wenn die Person ihren Termin wahrnehmen kann. Und wenn es mir mehrere Wochen schlecht geht und ich mangels Antrieb und Kraft nicht arbeiten kann, ist das kein Problem. Ich fange einfach wieder an, sobald es mir besser geht. Und wenn es mir doch mal recht spontan schlecht gehen sollte, gibt es immer jemanden, der hilfsbereit einspringen kann.
2. Viele Einsatzmöglichkeiten
Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Ladendienste doch recht anstrengend sind und ich lieber etwas anderes machen würde. Da kam mir die Betreuung von Gruppen recht, die ich fortan übernommen habe. Vor den Corona-Restriktionen kamen regelmäßig Schulgruppen oder andere Interessierte zu uns, denen ich dann den Laden gezeigt, uns und unser Konzept vorgestellt und Fragen beantwortet habe. Natürlich hatte ich krankheitsbedingt extreme Ängste und Sorgen, dass ich diese Aufgabe nicht bewältigen könnte oder versagen würde. Dennoch habe ich die Aufgabe angenommen und ausprobiert. Zum Glück, denn meine Ängste waren vollkommen unberechtigt: Die Betreuung von Gruppen zählt mittlerweile zu meinen Lieblingsaufgaben. Ich habe gemerkt, dass es total befriedigend und erfüllend ist, Menschen, die ein Interesse an uns und dem Problem der Lebensmittelverschwendung zeigen, etwas zu erklären und oft sogar beizubringen. Wegen der Corona-Restriktionen war das im letzten Jahr natürlich nicht mehr der Fall, aber ich bin mir sicher, dass es bald wieder damit losgehen kann.
Für Außenstehende mag es wie eine kleine, leicht zu bewältigende Aufgabe aussehen. Mir kam es jedoch wie das Erklimmen eines sehr hohen Berges vor. Für mich war es somit ein großer Fortschritt in Bezug auf meine Erkrankung: Ich habe mich etwas getraut, wovor ich riesige Angst hatte, und durfte erfahren, dass es dafür keinen Grund gibt, denn ich habe viel gutes Feedback erhalten. Es hat mir gezeigt, dass ich trotz Erkrankung noch zu etwas fähig bin und das auch gut mache. Eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg der Genesung. Zudem bin ich durch die Krankheit gruppenscheu geworden und vermeide zu viele Personen, wenn ich es kann. Interessanterweise ist das bei den Gruppenbetreuungen kein Problem für mich – vermutlich, weil es recht zentriert über mich läuft und die Interessierten zuhören und ruhig sind. Eine spannende Erfahrung, die mir ohne THE GOOD FOOD vielleicht entgangen wäre.
Nach einiger Zeit habe ich außerdem für einen kurzen Moment die Ladenkoordination übernommen, das heißt ich war Ansprechpartnerin für alle im Laden arbeitenden Personen. Für eine kurze Zeit deshalb, weil dann der nächste Klinikaufenthalt anstand. Aber das Vertrauen, das mir dadurch entgegen gebracht wurde, hat mir gezeigt, dass ich nicht nur aus meiner Erkrankung bestehe, denn das Gefühl habe ich regelmäßig. Nein, es steckt auch ein gesunder, offener, lebensfroher und kompetenter Anteil in mir, der Spaß an solchen Tätigkeiten hat.
3. Wertschätzung
Daneben hat mir meine Arbeit bei THE GOOD FOOD eine andere, neue Arbeitswelt eröffnet. Eine Welt, in der Menschen wertschätzend, freundlich und hilfsbereit miteinander umgehen. Auch und gerade bei der Arbeit. Meine Erfahrungen vorher sahen da, vor allem im Studium und genauso wie bei der Arbeit, deutlich anders aus: Leistungsdruck, Kampf, bloß nicht schenken/gönnen. Jetzt durfte ich erfahren, dass es auch anders geht. Na klar, es ist „nur“ ein Ehrenamt, aber ganz ehrlich: Wir arbeiten dort trotzdem alle fleißig und verantwortungsvoll. Wir sind viele Menschen, und dennoch funktioniert es gut. Wir kennen uns nicht alle untereinander, und trotzdem springen wir gerne ein und helfen aus. Das ist nicht selbstverständlich, auch wenn ich finde, dass es das sein sollte. Durch meine Tätigkeit dort wird mir bewusst, dass ich zwar noch keiner regulären Arbeit nachgehen kann, jedoch ist Arbeiten in einem gewissen Umfang möglich, wenn die Umstände entsprechend angepasst und flexibel für mich sind.
So ein Verhalten wünsche ich mir auch von der Gesellschaft. Denn sollte es so nicht sein? Es gibt so viele psychisch erkrankte Menschen, wieso überwiegen die Vorurteile und fehlt das Verständnis? Sollte man nicht dennoch als ein normaler Mensch angesehen werden? Man ist doch nicht seine Erkrankung, sondern HAT eine Erkrankung. Ich finde, so sollte es sein. Offenheit, kein Verstecken. Möglichkeiten für Erkrankte, durch Anpassungen arbeiten zu können.
Davon sind wir in unserer Gesellschaft wohl weit entfernt. Die meisten Menschen behalten psychische Erkrankungen lieber für sich. Zu groß ist das Stigma. Die Angst, als faul oder verrückt abgestempelt zu werden. Die Angst, sich im Job etwas zu verbauen, weil man ja nicht so leistungsfähig und sowieso krank sei. Die Angst vor dem Rausschmiss, sollte der Arbeitgeber etwas mitbekommen. Die Angst, nicht eingestellt zu werden, wenn jemand weiß, dass man psychische Probleme hat oder hatte. Doch genau dadurch verschlimmern sich die Symptome, verstärkt sich die Erkrankung. Wie viel besser würde es der Gesellschaft insgesamt doch gehen, wenn psychische Erkrankungen endlich aus ihrem Schattendasein in die Öffentlichkeit rücken und sich das Stigma auflösen würde.
Psychisch erkrankt zu sein bedeutet ja nicht, dass man den ganzen Tag Löcher in die Luft starrt oder alternativ heult und grundsätzlich nichts zustande bekommt. Jede Erkrankung verläuft anders. Viele Menschen können trotz psychischer Erkrankungen arbeiten. Viele könnten es, wenn die Bedingungen angepasst würden. Nur sieht man die Erkrankung eben nicht und es gibt keine „Standardlösung“. Wenn ich im Rollstuhl sitze, ist es einleuchtend, dass ich vielleicht nicht in der zweiten Etage ohne Aufzug arbeiten kann. Doch wenn bei mir im Kopf ein Problem herrscht – was dann? Dann doch lieber schweigen. Nachher glauben die anderen, ich stelle mich an. Ich hätte keine Lust. Ich sei faul. Ich würde nur simulieren. Denn wie erkläre ich, dass ich an dem einen Tag super fit und fröhlich bin und am nächsten Tag nur eingeschränkt leistungsfähig? Nee, dann lieber irgendwie so über den Tag kommen. Mit viel Kaffee. Oder ein wenig Alkohol. Oder oder oder …
Es macht mich sehr traurig zu sehen, dass in der Gesellschaft kaum Platz ist für etwas anderes als Leistung, Erfolg, schneller, höher, weiter, besser. Kein Platz für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die gerade durch ihre Erfahrungen mit den Erkrankungen viele Stärken entwickelt haben und so einen wertvollen Beitrag zu jedem Unternehmen leisten könnten.
Ich bin froh, bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit zu erfahren, dass es auch anders geht. Dass es gut funktioniert/funktionieren kann. Nur weil ich erkrankt bin, heißt es ja nicht, dass ich keine Stärken habe, die ich einbringen könnte und von denen andere profitieren können.
Lange Rede kurzer Sinn, was will ich eigentlich sagen?
Es gibt sie: Orte, an denen ich mich trotz all der Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die meine Erkrankungen mit sich bringen, wohl und angenommen fühle. Orte, an denen ich so in Ordnung und wertvoll bin, wie ich bin. Mit oder ohne Erkrankung, ganz egal. Orte, an denen mir die Möglichkeit gegeben wird, in meinem Tempo mitzuhelfen, voranzukommen, mitzumachen. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne Leistungsdruck. Und einen dieser Orte habe ich durch meine ehrenamtliche Tätigkeit bei THE GOOD FOOD gefunden.
Autorin: Kristine Jäkel
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